Eine wirklich dumme Idee

Eine wirklich dumme Idee

Auf den Klippen von Koh Rong Samloem

*Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf meinem Blog „TheWoundedStag.de“. Im Zuge einer Umstrukturierung des Blogs habe ich mich jedoch entschlossen, ihn hier in einer überarbeiteten Fassung erneut zu veröffentlichen.

Was hast du dir dabei bloß gedacht? Vorwurfsvoll sagte mir meine innere Stimme, dass das kein guter Einfall war. Der Weg zurück? Unmöglich. Es blieb nur die Flucht nach vorn. Der Weg vor mir? Ungewiss. Und wahrscheinlich auch gefährlich.

Reif für die Insel

Ein paar Tage im Paradies. So hatte ich mir das vorher ausgemalt. Wer an Kambodscha denkt, hat wahrscheinlich Bilder von alten Tempelruinen im Kopf. An Traumstände denken die meisten eher weniger. Doch die gibt es. Und was für welche. Du kannst sie auf Koh Rong Samloem finden – der kleinen Schwesterinsel von Koh Rong.

In Sihanoukville, einer Hafenstadt auf dem kambodschanischen Festland, hatte ich ein Ticket für ein Schnellboot gekauft, das mich für einen mehrtägigen Aufenthalt auf das kleine Inselparadies bringen sollte.

Nach der Anfahrt zum Serendipity Beach Pier in einem Bus, der in Deutschland definitiv keine Straßenzulassung erhalten würde, gab es neben Orientierungsschwierigkeiten auch Diskussionen mit den Fährpersonal, das besonderen Wert darauf legte, die Unterkunft auf der anvisierten Insel zu erfahren.

Blog - Koh Rong Samloem - Dschungel (Schild)

Kurz darauf begann dann schon die ca. 45-minütige Überfahrt. Passend zu meiner Vorfreude sprang das Schnellboot von Welle zu Welle. Regelmäßig schmeckte ich das salzige Wasser des Thailändischen Golfs. Während die Touristen an Board ordentlich durchgeschüttelt wurden, machte sich die Bootsmannschaft einen Spaß daraus, im richtigen Moment zu hüpfen, um den Erschütterungen zu entgehen. Eine Mischung aus Aufregung und Neugier hätte meine Gefühlslage wohl am besten beschrieben. Noch ahnte ich nicht, was mich an diesem Tag erwarten würde.

Das Paradies - Ankunft an der Saracen Bay

Als ich mit noch von der Überfahrt flauen Magen von Board ging, traute ich meinen Augen kaum.

Vor meinem geistigen Auge hatte es mir genauso vorgestellt. Mein erster Gedanke bei Ankunft in der Saracen Bay an der Ostküste von Koh Rong Samloem  war, dass all die Reiseblogger Recht hatten. So müsse es im Paradies aussehen. Die Bucht könnte locker als Kulisse für jeden Raffaelo-Werbespot dienen.

Ein mit Palmen gesäumter weißer Sandstrand mit türkisblauem Wasser. Darin schwammen unzählige bunte Fische. Ich habe bis heute keinen anderen Strand gefunden, der mich auf Anhieb so begeistert hat wie die Saracen Bay. Und gesehen habe ich mittlerweile einige.

Blog - Koh Rong Samloem - Saracen Bay
Blog - Koh Rong Samloem - Saracen Bay

Nun musste ich jedoch den Weg auf die Westseite der Insel finden, denn dort würde meine Unterkunft sein – ein Zelt direkt am Strand. Irgendwo zwischen dem Meer und dem Dschungel. Mein Aufenthalt dort sollte der krönende Abschluss meiner ersten Südostasien-Reise werden.

An der Saracen Bay war es unerbittlich heiß und es gab nur wenige schattige Plätze. Um der Sonne zu entgehen, war das Innere der Insel besser geeignet. Das ist nämlich komplett mit Dschungel bedeckt. Mein Ziel war ein Strand mit dem vielversprechenden Namen „Sunset Beach“.

Natürlich hatte ich mich im Vorfeld informiert. Boote dorthin gab es keine. Fahrzeuge sind auf einer Insel ohne entsprechende Infrastruktur auch kein Thema. Die Westseite konnte ich nur über einen kleinen Dschungelpfad erreichen. Jedoch konnte ich weder anhand der vagen Beschreibungen der Reiseblogs, noch mit Hilfe von Google Maps ausmachen, wo genau sich dieser Pfad befindet (mittlerweile ist das allerdings kein Problem mehr).

Blog - Koh Rong Samloem - Saracen Bay

Kann ja nicht so schwer zu finden sein. Vor allem bei fast 40 Grad in der Sonne mit einem mittelschweren Rucksack auf dem Rücken. Mit nur wenig Enthusiasmus unter diesen Voraussetzungen lange zu suchen, fragte ich eine Mitarbeiterin einer der wirklich hübschen Strandrestaurants nach dem besagten Pfad. Mit einem Lächeln, wie es nur die Khmer besitzen, wies sie mir auch sofort die Richtung.

Schnell noch ein Foto von dem Schild gemacht, das vor Schlangen im Dschungel warnt und diverse Notfallnummern auflistete. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Dann ging es los.

Blog - Koh Rong Samloem - Dschungel

Ab in den Dschungel

Schon immer wollte ich mal in den Dschungel. Dieser hier war harmlos und klein. Ein guter Anfang für den ersten Dschungelgang meines Lebens. Nach ungefähr 40 Minuten würde man auf der anderen Seite herauskommen.

Warst du schon einmal im Dickicht Südostasiens unterwegs? So sehr ich mich darüber freute, war es doch anders als ich mir immer vorgestellt hatte. Nach wenigen Minuten war ich klitschnass. Die Luftfeuchtigkeit war extrem. Schweiß tropfte mir vom Kinn wie Wassertropfen aus einem undichten Wasserhahn. Meine Kamera hielt ich seitlich vom Körper weg. Die war nicht wasserdicht.

Zum Glück hatte ich Mückenspray dabei. Das hielt immerhin ein paar der gefühlten 10.000 Blutsauger davon ab, mich zu aufzufressen.

Ansonsten war der Weg ruhig. Ein paar Echsen hier und da. Nichts Großes. Ich kam wie erwartet schnell am Strand auf der anderen Seite von der Insel an. Er war ganz hübsch, jedoch kein Vergleich zur Saracen Bay. Etwas war allerdings merkwürdig.

Der Strand sah überhaupt nicht so aus wie auf den Fotos im Internet. Ein kleines Schild brachte dann Gewissheit. Lazy Beach! Ich war am falschen Strand.

Am faulsten Strand von Koh Rong Samloem

Hier gab es nichts. Keine Unterkünfte. Keine Restaurants und natürlich auch keine Verbindung zum Sunset Beach. Nur eine kleine – selbstverständlich geschlossene – Strandbar. Hier und da saßen ein paar vereinzelte Menschen. Und dazwischen war natürlich der verschwitzte Barang (Westler), der aus dem Dschungel kam.

Es musste demnach zwei Dschungelpfade von der Ost- zur Westseite geben. Das war typisch für mich. Selbst hier im Paradies. Eine 50/50-Chance den richtigen Weg zu wählen und entscheide mich für den falschen. Für so etwas hatte ich schon immer ein Talent.

Der Handyempfang auf Koh Rong Samloem war bestenfalls ansatzweise vorhanden. Auf der Westseite war sogar Strom ein rares Gut. Aber ich konnte auf einer gespeicherten Karte im Smartphone sehen, dass nur eine kleine Landzunge den Lazy Beach vom Sunset Beach trennte.

Mein Ziel war also in greifbarer Nähe. Die Landzunge war gesäumt mit dichten undurchdringlichen Dschungel, der abrupt mittels Steinen und mittelgroßen Felsen ins Meer fiel. Dieses Geröll vermittelte mir den Eindruck, dass ich einfach darüber klettern könnte.

Blog - Koh Rong Samloem - Klippen

Dieses Geröll vermittelte mir den Eindruck, dass ich einfach darüber klettern könnte.

Es gab nun zwei Möglichkeiten. Die Landzungen-Kletterei oder den ganzen Weg zurückgehen, erneut in der unbarmherzigen Mittagssonne an der Saracen Bay umherirren, bestenfalls schnell den zweiten Pfad finden und diesen dann zum richtigen Strand folgen. Der Gedanke schien anstrengend. Sehr sogar. Einfacher erschien es mir eine halbe Stunde über ein paar Steine am Wasser zu klettern und so auch zum Ziel zu kommen.

Klingt doch machbar, oder? Ich wählte die Kletterpartie am Wasser.

Das sollte sich sehr schnell als großer Fehler rausstellen.

Dumm ist, wer Dummes tut

Anfangs war es einfach. Die Felsen waren flach, verhältnismäßig fest und trittsicher. Nur die Hitze trieb mir unentwegt den Schweiß in die Augen. Schon nach 10 Minuten stellten sich erste Erschöpfungserscheinungen ein. Das war abzusehen. Was hatte ich erwartet, wenn ich in tropischer Hitze von einem Stein zum nächsten hüpfe?

Trinkwasser hatte ich nicht viel dabei. Nur eine angebrochene 0,33 Liter-Flasche. Aber ich würde ja nicht lange bis auf die andere Seite brauchen. Du merkst wahrscheinlich bereits, dass ich nicht unbedingt das Zeug zum Reisegruppenführer habe.

Blog - Koh Rong Samloem - Klippen

Die Felsen wurden größer, unwegsamer, rutschiger. Manche wackelten oder kippten weg. Teilweise musste ich über große Lücken springen, um vorwärtszukommen. Oder steile Absätze hinabsteigen, die ich so sicher nicht wieder heraufgekommen wäre. Ich drehte mich oft um und blickte zurück zum Lazy Beach.

„Eine Stunde und noch nicht mal auf der Spitze der Landzunge angekommen.“, dachte ich.

Mir kamen langsam Zweifel, ob ich mir das wirklich gut überlegt hatte. Immerhin würde es Gründe geben, warum es hier keine direkte Verbindung zwischen den beiden Stränden gab.

Dann wurde es ernst

Völlig erschöpft erreichte ich eine Stelle, an der kein Weiterkommen möglich war. So schien es mir zumindest.

Was sollte ich tun? Zurück ging es aufgrund der hinabgekletterten Vorsprünge nicht mehr. Was noch vor mir lag, konnte ich nur erahnen. Handy-Empfang gab es keinen und die Sonne zwang mich auch den letzten Rest Trinkwasser aufzubrauchen. Es gab hier auch keinen Schatten, wo ich hätte ausharren können. Ungläubig blickte ich in den dichten Dschungel. Der war so dicht, dass man dort unmöglich hätte einen Fuß hineinsetzen können. Zumal ja überall diese Warnschilder vor Schlangen auf Koh Rong Samloem zu finden waren.

Einen Augenblick dachte ich darüber nach, meinen Rucksack liegen zu lassen, ins Wasser zu klettern und mich dort langsam entlang der Felsen vorwärts zu hangeln. Doch die Wellen des Thailändischen Golfs schlugen mit einer Wucht gegen diese Felsen, dass ich diesen Gedanken schnell wieder verworfen habe. Das hätte mit Sicherheit ein böses Ende genommen.

Blog - Koh Rong Samloem - Klippen

In Gedanken versuchte ich mir einzureden, dass alles gut wird. Doch diese Versuche ruhig und besonnen zu bleiben, wichen langsam aber stetig einer inneren Unruhe.

Ich habe mich selbst in eine sehr ernste Situation gebracht und ich schaffte es nicht, mich selbst vom Gegenteil zu überzeugen.

Ein kleines, keinen halben Meter breites Felspodest unter einer wesentlich größeren Felsformation schien die einzige Möglichkeit vorwärtszukommen. Es war mehrere Meter lang. Links ging es runter ins Wasser, aus dem spitze Felsen ragten. Es war nass und rutschig. Vor mir schmückten Spinnennetze den Weg – oder wollten ihn versperren. Aber eine andere Option gab es nicht.

Vorsichtig kroch ich voran. Auch durch die Netze. Ich presste mich mit meinem Rucksack gegen die Felswand neben und über mir, um nicht abzurutschen. Und – gottseidank – gelangte ich heile auf die andere Seite.

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Das Ziel vor Augen

Ein wenig Felsenhüpferei später war ich endlich auf der lang ersehnten Spitze angekommen. Hier wehte mir ein erfrischend kühler Wind um die Nase. Die Hälfte war geschafft. Was für eine Erleichterung. Jetzt fasste ich wieder Mut, doch noch zu meinem Zelt zu kommen. Doch die Erschöpfung zwang mich in immer kürzeren Abständen zu Pausen.

Trinkwasser hatte ich lange keines mehr. Den Sunset Beach konnte ich nun schon in der Ferne sehen. Weit ist es nicht mehr. „Zähne zusammenbeißen und weiter“, sprach ich mir selbst gut zu.

In der kambodschanischen Hitze wechselten sich steile Kletterpartien mit Verschnaufpausen ab. Der Rhythmus wurde stetig schneller – die Kletterpartien kürzer, die Pausen länger. Meine Arme sahen mittlerweile wie die eines Borderliners aus. Als auch meinte Trittsicherheit nachließ, rutschte ich in einem Moment der Unachtsamkeit mit dem rechten Fuß ab und stieß damit in eine kleine Felsspalte.

Wieder eine Pause. Zumindest bist der Schmerz nachließ. Den Schuh zog ich nicht aus. In diesem Moment wollte ich nicht sehen, was ich angerichtet hatte. Erst vor wenigen Monaten war der große Zeh gebrochen und glücklicherweise vor dem Beginn der Reise wieder verheilt. Nun war er mindestens verstaucht und ich hatte in der Folge Schwierigkeiten aufzutreten.

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Ankunft am Strand der Sonnenuntergänge

Völlig erschöpft, zerkratzt und dehydriert erreichte ich schlussendlich den Sunset Beach. Die ganze Kletterei hatte fast drei Stunden gedauert. Das mag nach nicht viel klingen, kam mir jedoch unendlich lange vor. Im Resort erklärte ich einen englischsprechenden Khmer, welchen Weg ich genommen hatte. Er schlug nur ungläubig die Hände über dem Kopf zusammen.

Blog - Koh Rong Samloem - Sunset Beach

In wenigen Zügen leerte ich eine große Wasserflasche zur Hälfte. Wahrscheinlich wirkte ich wie jemand, der gerade aus der Sahara kam. Anschließend schlief ich in meinem Zelt die Stunden bis zum Abend durch, bis ich zum ersten Mal mit einem der malerischen Sonnenuntergänge belohnt wurde, die dem Strand seinen Namen gaben.

Blog - Koh Rong Samloem - Sunset Beach

Ironischerweise hing vor Ort eine große Karte der Insel, die beide Dschungelpfade und ihre Positionen genau zeigten. Hätte ich sie vorher gekannt, hätte mir das einiges erspart.

Den gewünschten Aufenthalt im Paradies bekam ich in den nachfolgenden Tagen aber doch noch.

Immer wenn ich mich an das Gefühl erinnere, das ich hatte als ich in der Hängematte liegend in den klaren Sternenhimmel sah, Meeresrauschen vor mir, die Geräusche des Dschungels bei Nacht hinter mir, dann weiß ich, dass ich jederzeit wieder nach Koh Rong Samloem reisen würde.

Und die Lektion daraus?

Als es darauf ankam habe ich eine wirklich dumme Entscheidung getroffen. Es war ganz großes Glück, dass nicht mehr passiert ist. Vernünftig wäre es gewesen, am Lazy Beach den Rückweg anzutreten. Zur Not hätte ich mir ja für eine Nacht eine Unterkunft an der Ostseite der Insel nehmen können. Es wäre sogar schlauer gewesen, wenn ich einfach die Nacht am Lazy Beach im Freien verbracht hätte. Ich wollte sowieso schon immer mal am Strand schlafen.

Jetzt weiß ich es besser. Im Nachhinein weiß man das ja immer.

Als ich von der Insel zurückkam, machte mir der Kommentar eines Bekannten auch noch mal klar, in was für einer Situation ich war. Mit einem gewissen Unterton sagte er, dass „die mich frühestens nach ein paar Wochen“ dort wiedergefunden hätten.

Es bedarf wirklich keines Genies, um die Learnings dieser Erfahrung zusammenzufassen:

  • unterschätze nie die tropische Hitze in Südostasien und hab immer genug Trinkwasser bei dir,
  • es kann nicht schaden, kleinere Verletzungen auch unterwegs behandeln zu können,
  • versuche dir im Vorfeld so viel Ortskenntnis wie möglich anzueignen, wenn du alleine bist,
  • lass immer irgendwen wissen, wo du bist und was du vorhast,
  • wenn kein Weg zu sehen ist und auch keiner auf einer Karte verzeichnet ist, dann ist da auch kein Weg,
  • frage lieber einmal zu viel als zu wenig bei der lokalen Bevölkerung nach,
  • und am wichtigsten: hör auf deine Intuition.
Blog - Koh Rong Samloem - Sunset Beach

Vor allem der letzte Punkt ist wichtig. Meine Intuition hat mich schon so manches Mal gewarnt und stellte sich im Nachhinein oft als richtig heraus. An diesem Tag jedoch schien meine Intuition mit einem Schirmchendrink in der Hängematte zu liegen.

Unterschrift - weiß

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