Songkran während der Pandemie
*Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf meinem Blog „TheWoundedStag.de“. Im Zuge einer Umstrukturierung des Blogs habe ich mich jedoch entschlossen, ihn hier in einer überarbeiteten Fassung erneut zu veröffentlichen.
BEEP BEEP . . . Das nervende Piepen meines Smartphones reißt mich aus dem Schlaf. Eigentlich wollte ich den Alarm-Ton lange mal geändert haben. Es ist kurz nach Sechs Uhr. Ich wische mir den Schlaf aus den Augen und brauche einen Augenblick mich zu sammeln. Orangefarbenes Licht presst sich seitlich an den Vorhängen vorbei ins Schlafzimmer.
Heute ist es so weit – mein erstes Songkran-Fest in Thailand.
Vom 13. bis 15. April findet das traditionelle thailändische Neujahrsfest statt. Du kennst es vielleicht. Womöglich warst du sogar schon mal bei den berühmten Wasserschlachten in Bangkok, Pattaya oder auf Koh Samui dabei.
Ich jedoch noch nie. Irgendwas kam immer dazwischen. Zuletzt ein weltweit für Unmut sorgendes Virus.
Mit erscheint es ironisch, dass ich Songkran ausgerechnet während dieser Pandemie kennenlernen soll. Es ist das Jahr 2021. Thailand wird momentan von einer Infektionswelle erfasst wie nie zuvor. Offizielle Festlichkeiten sind von der Regierung bereits verboten worden.
Jeab ist die Mutter meiner Partnerin. Eine liebenswerte kleine Frau, die eigentlich immer irgendwie beschäftigt ist. Sie hat mich nur Tage zuvor gefragt, ob ich zusammen mit ihrer Familie und Freunden feiern möchte.
Und ob ich das möchte!
Authentischer kann man das Thailändische Neujahrsfest wohl kaum begehen. Und meine Kamera darf natürlich auch nicht fehlen. So eine Chance bekommt man nicht alle Tage. Und Sorgen um die Technik müsste ich mir auch keine machen. Selbstverständlich würde man mich beim Übergießen mit Wasser verschonen. So zumindest die Theorie.
Es gibt momentan kaum westliche Besucher im Land des Lächelns – in zentralthailändischen Phetchabun schon gar nicht. Bereits in Bangkok kam ich mir vor wie der einzige Farang im ganzen Land. Ich ließ mich also nicht zweimal bitten. Die Aussicht als einziger Ausländer am „Thailändischsten“ aller Feste teilzunehmen, war zu verlockend.
Der erste Songkran-Tag
Es ist jetzt Neun Uhr. Freunde und Verwandte holen uns in einem Autokorso ab. Keines der Gesichter kommt mir irgendwie bekannt vor. Freundlich oder besser gesagt herzlich sind sie alle.
Die Fahrt dauert etwas über eine Stunde. Mit jeder Minute wächst die Aufregung. Am Straßenrand passieren wir einige Tempel, die für den heutigen Anlass verhältnismäßig leer wirken.
Meine Aufregung steigt von Minute zu Minute. Neben stiller Vorfreude schießen mir jedoch auch Fragen durch den Kopf:
- Spricht dort jemand Englisch?
- Würde mein Thai zur Verständigung ausreichen?
- Wie reagieren Leute hier in der Provinz während der Pandemie auf einen westlichen Ausländer?
- Und natürlich: Wie viele Fettnäpfchen sind heute für mich reserviert?
Sicherlich würde ich es wieder irgendwie schaffen, etwas Dummes zu machen. Das ist immer so. Das ist mein Ding.
Sollte ich jemals ein Buch schreiben, dann wahrscheinlich darüber, wie man die Dinge auf Reisen nicht angehen sollte.
Dann hält der Wagen. Einen Moment zögere ich noch und überlege mir, mit welchen Worten ich die Leute begrüßen werde. Dann steige ich mit Jeab aus.
Solche Momente mag ich überhaupt nicht. Introvertiert, zu Teilen sogar etwas sozialphobisch und dann bin ich irgendwo neu, kenne niemanden und hab das Gefühl, alle Aufmerksamkeit ruht auf mir.
Meistens ist Quatsch. Das, wovor ich Angst habe, passiert eigentlich nur in meinem Kopf. Die Thais an diesem Tag machen es mir jedenfalls sehr einfach, mich schnell wohlzufühlen.
Baan Nam Ron - Irgendwo in der Provinz
Wir sind in einem Vorort der Provinzhauptstadt Phetchabun, einer sehr ländlich anmutenden Gegend. Das Songkranfest soll sich auf zwei Grundstücken abspielen, welche an einer wenig befahrenen Straße gegenüberstehen Zwei Häuser, vorwiegend aus Holz gebaut, eins in Pink und eins in Braun, schauen auf uns herab. Vor dem pinken Haus steht ein blau-grün gestreiftes Festzelt mit unzählige Plastikstühlen darunter und drum herum.
Grob geschätzt sind hier ca. 30-40 Personen – vielleicht ein paar mehr. Die Thais begrüßen mich warmherzig und interessieren sich – manche mehr, manche weniger – für den Farang, den Jeab da mitgebracht hat. Mein auswendig gelernter Satz „jindii thîi dâai rúudjàk khun“ („Es freut mich dich kennenzulernen.“) sorgt bei vielen für Erheiterung.
Es mach den Anschein, die Leute freuen sich, dass ich das auf Thai sagen kann. Womöglich spreche ich es aber einfach auch verkehrt aus. Weitere Erklärungen überlasse ich Jeab. Dafür ist mein Thailändisch nicht gut genug.
Der zeremonielle Teil von Songkran
Bislang kenne ich das nur von Fotos. Die älteren Thais nehmen auf einer Reihe von Stühlen Platz. In ihren Händen haben sie so genannte Phuang Malai (Blumenketten). Alle anderen, Kinder wie Erwachsene, gehen an den Plätzen vorbei, knien vor jedem der Älteren nieder und gießen ihnen vorsichtig eine Schale Wasser über Hände und Schultern.
Ganz wichtig dabei: Nicht über den Kopf.
Man übergibt Banknoten als Geschenk. Daraufhin legen die Älteren den Jüngeren die Hand auf den Kopf und erbitten für sie Glück und Gesundheit.
Das klingt vielleicht sehr förmlich, ist in der Realität jedoch sehr entspannt und locker. Einige Leute haben sichtlich Spaß daran, den Niederknienden auch eine Schale Wasser überzukippen.
Wobei hier wiederum vor allem der Kopf ins Visier genommen wird. Trocken bleibt dabei niemand.
Bei einem zweiten Durchgang binden die Großväter und Großmütter den jungen Leuten jeweils ein weißes Bändchen um das Handgelenk und sprechen ihnen dabei erneut ihren Segen zu. Eine Geste, die Glück bringen soll.
Bisher konnte ich mich gut hinter meiner Kamera verstecken und mich im Hintergrund halten. Nun jedoch signalisieren mir zwei der älteren Damen, vor sie zu treten.
Wahrscheinlich lacht sich Jeab bei dem Anblick innerlich kaputt, mit welcher Ernsthaftigkeit ich kniend und mit geschlossenen Augen meine Armbändchen empfange. Ich für meinen Teil fühle mich freue mich, dass ich ein Teil dieser Tradition sein darf.
Entgegen meiner Erwartung bleibe ich tatsächlich vom Wasser verschont. Womöglich aus Vorsicht, wegen der großen Kamera um meinen Hals. Oder es ist wirklich Rücksicht mit dem Farang.
Jedenfalls ist der zeremonielle Teil des Tages damit erledigt. Jetzt folgt der Teil der Feier, den man in Coronazeiten eigentlich weniger erwarten würde.
Eine ausgelassene Songkran-Feier auf dem Land
Dem spirituellen Vormittag folgt ein ausschweifender Nachmittag. Hier versteht man es zu feiern. Gefuttert wird ohne Unterlass. Pausenlos gibt es Reis, Fleisch, Obst, Gemüse und Süßes zu essen. In allen Variationen.
Getrunken wird – wie überall in der Region – eine Mischung aus Rum oder Whiskey mit Eiswürfeln und Sodawasser. Zu meiner Überraschung schmeckt das sogar.
Es gibt auch einen Entertainer und offensichtlich professionelle Karaokesänger. Sie sorgen für ausgelassene Feierlaune. Es wird getanzt und gesungen. Und jeder macht mit, gleich welches Alter.
Meine schüchterne Art versuche ich zu überspielen und flitze pausenlos mit der Kamera um den Hals zwischen den Partygästen umher. Ich versuche alles festzuhalten und da es der Entertainer anscheinend auf mich abgesehen hat, spricht er mich öfters direkt über das Mikrofon an. Über zu wenig Aufmerksamkeit kann ich mich heute nicht beschweren.
Er war damit nicht allein. Immer öfter trauen sich auch jüngere Thais mich anzusprechen. Meist probieren sie ihr Englisch an mir aus. An den Sprachkenntnissen kann ich hören. wer bereits Erfahrung mit Farangs hat. Da ist eine gutaussehende junge Dame. Sie sagt, sie heiße Miiju – natürlich ein Spitzname.
Miiju hat bereits in Bangkok und Pattaya gearbeitet und schon oft mit westlichen Ausländern zu tun gehabt. Und um ehrlich zu sein, hätte sie Pattaya nicht mal erwähnen müssen. Das merke ich nämlich an ihrer Art. Sie beißt in ein Stück Mango und gibt es mir anschließend. Später soll ich sie „sexy“ fotografieren, wie sie sagt.
Zu ihrer Verteidigung muss man erwähnen, dass sie beim Rennen um die meisten Becher Whisky-Soda die Nase weit vor mir hat. Also reagiere ich verhalten.
Bei Gesprächen mit der älteren Generation hilft mir Jeab. Allerdings scheint es gar nicht so wichtig an diesem Tag, dass man alles versteht. Wichtiger sind der Spaß und die gute Laune.
Die Hemmungen fallen
Die anfänglich eingesetzten Wasserschalen wurden mittlerweile durch Wassereimer ersetzt. Eigentlich hat das Bespritzen mit Wasser ja eine traditionelle Bedeutung. Es ist eine Reinigung. Schlechte Dinge aus der Vergangenheit sollen weggespült werden. Hier übergießen man sich mit vollen Eimern . . .
Was da wohl weggespült werden muss?
Die Rücksichtnahme der Thais auf den inoffiziellen Fotograf weicht immer mehr dem Alkohol. Von einer Sekunde auf die nächste bin ich klitschnass. Der Eimer galt angeblich nicht mir. Meine Zweifel darüber behalte ich jedoch für mich. Die tropischen Temperaturen würden mich schnell wieder trocknen. Die Kamera hat es auch überstanden.
Ein weiterer Songkran-Brauch ist es, sich gegenseitig mit weißer Paste oder weißem Babypuder einzuschmieren. Das ist mitunter sehr lustig anzusehen. Je weiter der Nachmittag voranschreitet desto exzessiver wird die Schmiererei.
Vorsicht bei betrunkenen Thais
Der erste Tag als einziger Ausländer unter Thais ist allerdings keine Aneinanderreihung von Momenten voller Glückseligkeit. Es gibt auch einen sehr unangenehmen Augenblick.
Am späten Nachmittag sind einige der Feiernden sichtlich angetrunken. Auch Miiju, die bereits Probleme mit der Bein-Boden-Koordination hat.
Oft habe ich gelesen, dass man betrunkenen Thais besser aus dem Weg geht. Die in der Kultur tief verankerte Angst, das Gesicht zu verlieren, spielt bei einem erhöhten Alkoholpegel kaum mehr eine Rolle. Manch Ausländer hat sich in seiner Reaktion auf Provokationen schon grob verschätzt, was böse enden kann und schon öfters böse endete.
Im Umgang mit Alkohol ist in jeder Kultur ein gewisses Maß an Vorsicht geboten. Bezogen auf Thailand würde ich diese Warnung jedenfalls ernst nehmen.
Ob ein falsches Wort, falsche Aussprache oder was gänzlich anderes der Auslöser ist – ich kann es heute wirklich nicht mehr sagen. Ein junger Mann dreht sich plötzlich zu mir um und mault mich in sehr aggressivem Tonfall an. Es bedarf keiner tiefen Sprachkenntnisse, um zu erkennen, dass die Worte weniger freundlich sind.
Erschrocken überlege ich mir einen kurzen Moment meine Reaktion. Doch kann man in solchen Momenten nur ruhig bleiben. Vor allem sollte man auf keinen Fall das Rumdiskutieren anfangen, was – wenn man die sprachlichen Hürden bedenkt – nur nach hinten losgehen kann.
Mein Unwohlsein versuche ich nicht zu zeigen. In thailändischer Sprache entschuldige ich mich und sage dem aufgebrachten jungen Mann, dass ich ihn leider nicht verstehe. Dabei lächle ich freundlich. Zumindest versuche ich es. Scheinbar mit Erfolg. Er beruhigt sich, nickt mit dem Kopf und dreht sich wieder um.
Später wird Jeab mir erzählen, er habe nur Spaß gemacht, doch kaufe ich ihr das nicht ab.
Allgemein gilt: Ohne Sprachkenntnisse, würde ich in so einer Situation einfach lächeln und nicken. In jedem Fall sollte man deeskalierend handeln.
Der besagte junge Mann ist im weiteren Verlauf des Abends (und auch in den folgenden Tagen) sehr freundlich zu mir und ich bin keineswegs nachtragend. Was bleibt ist nur die Erinnerung an den Schreckmoment, auch wenn diese einen seltsamen Nachgeschmack hinterlässt.
Damit aber kein falscher Eindruck entsteht: Der Herr ist hier in keinem Foto zu sehen. Und ich möchte auch nicht unfair sein. Ich habe ihn seit damals ab und an wiedergesehen und er war jedes Mal sehr freundlich, so dass der Gedanke naheliegt, dass tatsächlich eine alkoholbedingte, vorübergehende Störung des Kleinhirns Ursache der Aggression war.
Thailändische Gastfreundlichkeit
Sonderlich überrascht bin ich nicht, als mir Jeab eröffnet, dass wir heute Nacht hier bleiben. Damit war zu rechnen. Es soll mir recht sein. Sie hat schon einige Becher Rum mit Sodawasser weg. Autofahren sollte sie jetzt eh nicht mehr.
In Thailand gibt es vor allem an Songkran jedes Jahr vermehrt Autounfälle aufgrund von Alkoholeinfluss.
Auf eine Übernachtung auswärts bin ich eigentlich nicht vorbereitet, was jedoch kein Problem sein soll. Waschutensilien bekomme ich von den Thais. Eine Zahnbürste wird schnell aus dem nächsten 7-Eleven besorgt.
Abends kommen mir Urlaubsbilder von Freunden und Bekannten auf Facebook oder Instagram in den Sinn, die stolz ihre Urlaubshotels und Strände zeigen. Das ist mit Sicherheit das komplette Gegenteil von dem hier.
Hast du dich schon mal geduscht, indem du mit Hilfe einer Plastikschüssel kaltes Auffangwasser geschöpft und dich damit übergossen hast? Einfach aber effektiv. Die saubere Kleidung versuche ich irgendwo im Badezimmer zu platzieren, wo sie nicht sofort durchnässt oder voller Spinnenweben wäre. Es ist ein tolles Gefühl hier zu sein. So tief in einer anderen Kultur einzutauchen fühlt sich unglaublich an.
Übernachten werde ich im Haus von Jeabs Freundin. Ihr gehört das pinke Haus. Das gesamte Schlafzimmer soll ich für mich allein haben. Das ist extrem großzügig. Immerhin schlafen die Thais zu zehnt und mehr zusammen in einem Raum auf dem Boden.
Und trotzdem entschuldigen sie sich fortwährend für den geringen Komfort bei mir. Das ist mir unangenehm und so versichere ich ihnen, dass das für mich perfekt ist. Sogar der Massenschlafsaal wäre perfekt. Wenn man im Innen glücklich ist, spielt das Außen eh keine Rolle.
Das Schlafzimmer selbst ist noch pinker als die Hausfassade. Es wirkt, als wäre hier ein Disney-Fanshop explodiert.
Am ersten Tag meines ersten Songkran schlafe ich erschöpft, aber glücklich ein.
Warst du schon mal während Songkran in Thailand? Wie hast du das erlebt? Was macht das Fest für dich aus? Eher die Wasserschlachten oder eher das traditionelle Zusammensein der Familien?
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