Einen Monat Quarantäne in Thailand
*Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf meinem Blog „TheWoundedStag.de“. Thematisch passt er jedoch besser zu „SawasdeePhetchabun.com“, so dass ich mich entschlossen habe, ihn hier erneut zu veröffentlichen.
- Bangkok lag in tiefem Schlaf
- Nur schnell raus aus der Hauptstadt
- Auf dem Land gab es keine Pandemie
- Statistisch belegt – ich ziehe Unglück magisch an
- Das provisorisches Aufnahmelager im Tempel
- Die Sorgen eines Farangs
- Keine Rückkehr ins Haus
- Nicht allein in meiner Hütte
- Die Familie – Glück im Unglück
- Die Schuldfrage
- Eine ätzende Rettung
- Happy End
- Was ich aus dieser Sache gelernt habe
Ich muss dir etwas beichten. Ich habe etwas Verantwortungsloses getan. Ich habe am Leben teilgenommen – trotz aller Unkenrufe der Experten. Natürlich bekam ich auch prompt die Rechnung dafür. Als ich im Frühjahr 2021 nach eineinhalb Jahren Abwesenheit wieder in Richtung Südostasien aufbrach, waren zwei Wochen Quarantäne in Thailand Pflicht. Normalsterbliche hatten keine Möglichkeit unter eine Ausnahmeregelung zu fallen. Das bedeutete, zwei Wochen allein in einem Zimmer. Gut, man muss ja alles Mal probiert haben.
Im Netz hatte ich bereits viel über die Quarantäne gelesen. Belastend sei sie für einige. Bei anderen verging die Zeit wie im Flug. Manch einer vertrieb sie sich mit dem Fernseher, wieder andere beobachteten Vögel aus dem Fenster. Natürlich nur, sofern sie das Glück hatten, ein Hotel zu erwischen, in dem sich ein Fenster öffnen ließ. Das Prozedere um die Einreise und die Quarantänebestimmungen will ich hier aber gar nicht weiter thematisieren. Das Internet ist voll davon. Zudem haben sich die Bestimmungen ja gefühlt eh jeden Monat geändert.
Nach meiner Ankunft in Bangkok, hat mich vor allem der desolat wirkende Flughafen, das einstige Drehkreuz Südostasiens, betroffen gemacht.
Die Fahrt durch meine Lieblingsstadt zeigte ein ähnliches Bild. Die riesigen Werbetafeln am Tollway waren verschwunden. Die Straßen waren leer – zumindest gemessen an den Zuständen vor Corona. Doch war ich in meinem Inneren glücklich darüber, endlich wieder hier zu sein.
Ankunft am Hotel.
Dann schloss sich die Tür hinter mir. Nun gab es definitiv kein Zurück mehr.
Bangkok lag in tiefem Schlaf
Sonst ein Gedränge unzähliger Menschen aus aller Welt, die eilig mit ihren Trolleys und Aktentaschen vom Gate zur Immigration sprinten, war es nun ein Hochsicherheitstrakt für die wenigen Gestalten, die die Strapazen dieser Reise auf sich genommen haben.
Sicherheitsleute, Gesundheitspersonal in Seuchenschutzkleidung und alle fünfzig Meter eine Überprüfung der Dokumente, die für die Einreise benötigt wurden. Hier und da wurde die Körpertemperatur gemessen. Kein Schritt durfte von der vorgegebenen Bahn durch das Labyrinth der Pandemieprävention abweichen, das früher einmal ein quirlig bunter Schmelztiegel der Kulturen war.
Obligatorische Quarantäne in Bangkok
Gleich vorweg: Die Zeit verging auch für mich wie im Flug. Alle Sorgen stellten sich als unbegründet raus. Weder habe ich täglich Louis Armstrongs „Nobody knows the trouble i’ve seen“ mit einer Mundharmonika geträllert, noch mit dem Löffelstiel Kerben in die Wand gekratzt. Das wäre mit dem Plastiklöffeln allerdings auch schwer gewesen.
Es gab viele Möglichkeiten mir die Quarantänezeit zu vertreiben, wie z. B.:
- an lange aufgeschobenen Projekten arbeiten,
- Fotos retuschieren,
- Bücher lesen,
- sportliche Betätigung mit Widerstandsbändern,
- Video-Telefonate mit der Familie und Freunden führen,
- Thai lernen,
- und – tatsächlich – Vögel beobachten.
Zugegeben, es war fast unmöglich die bunten Vögel zu ignorieren, die mich ab und an besuchten.
Alkohol war strikt verboten, das Essen eher mittelmäßig. Dennoch hatte ich immer die Vorfreude auf die Zeit nach der Quarantäne im Kopf. Wäre da nicht am Horizont bereits ein drohendes Unheil erkennbar gewesen.
Nur schnell raus aus der Hauptstadt
Fast ein Jahr war Thailand mit sehr niedrigen Infektionszahlen durch die Pandemie gekommen. War klar, dass sich das genau dann ändern musste, als ich sehnsüchtig in Quarantäne darauf wartete, auf die thailändische Gesellschaft losgelassen zu werden.
Wenige Tage vor dem Ende meiner Isolation schossen die Zahlen plötzlich von einem zweistelligen zu einem vierstelligen Bereich hoch. Die Schuld gab man dem Nachtleben von Bangkok, wo es zu größeren Clustern kam.
Klasse! Das passt wieder wie Arsch auf Eimer. Irgendeine höhere Macht hat da mächtig Sinn für Humor.
Bars mussten schließen, Restaurants durften nur begrenzt öffnen, Alkoholausschankverbote wurden erwogen und auch das überprovinzielle Reisen wurde von der Regierung bereits kritisch diskutiert.
Da war ich endlich frei und wollte ein bisschen Bangkok erleben und musste befürchten, mehr von der Stadt zu bekommen, als mir lieb war. Denn die Gefahr festzusitzen und als einzige Option den Weg zurück ins kalte Deutschland anzutreten, war nun leider sehr real.
Also bat ich meine Schwiegermutter (Jeab) mich abzuholen, damit ich in Phetchabun bei der Familie bleiben könne, wenn es hart auf hart kommen sollte. Und das sollte es später in der Tat.
Auf dem Land gab es keine Pandemie
Endlich in Nong Chaeng, Phetchabun.
Für ein paar Tage war alles wie immer, so als gäbe es keinen Virus. Wenn ich nicht ab und an eine Maske hätte tragen müssen, wäre der Gedanke naheliegend gewesen, dass man hier noch gar nichts von Corona gehört hatte. Das war toll. Lachende Gesichter, viel Sonne, kleine Echsen und leckeres Thaifood. Keine Politik, kein Virus und keine Temperaturen unter null. Ich fühlte mich sicher. So sicher, dass wir bereits am zweiten Tag nach meiner Ankunft hier das anstehende Songkranfest feierten.
Vielleicht hätte ich das nicht tun sollen. War das verantwortungslos?
Um ehrlich zu sein, es war mir egal. 14 Tage in Isolation und eineinhalb Jahre ohne Thailand. Ich wollte endlich wieder unter Menschen, wollte sie besser kennen lernen und wollte die Chance nicht vertun, das wichtigste Fest der Thais in privatem Umfeld erleben zu können. Immerhin würden Touristen so eine Chance normalerweise nicht bekommen.
Statistisch belegt – ich ziehe Unglück magisch an
Du glaubst mir nicht?
1.335
Das ist die Zahl.
So viele Infektionen wurden am 14. April 2021 in Thailand nachgewiesen. Das sind bei (abgerundet) 69 Millionen Einwohnern ca. 0,002 Prozent der Menschen im Land. Lassen wir außer Acht, dass es sicher noch mehr unentdeckte Infektionen gab. Für meinen Fall sind nämlich nur die tatsächlich erfassten Infektionen von Bedeutung.
Wie hoch schätzt du die Wahrscheinlichkeit, dass unter ca. 40 Anwesenden auf einer Feier einer dieser 0,002 Prozent dabei ist?
Versteh mich nicht falsch. Ich will nicht jammern. Das Risiko bestand nun mal. Aber die statistische Wahrscheinlichkeit, dass so was passieren würde, war beachtlich gering.
Die Ruhe vor dem Sturm
Dass wir Probleme bekommen würden, ließ sich erahnen, als meine Partnerin mich darauf hinwies, dass es einen Infizierten auf dem Songkranfest gegeben hatte. Wenn sie das in 260 Kilometern Entfernung bereits wusste, dann schien das Thema schon die Runde zu machen.
Meine Schwiegermutter wollte mich wohl nicht beunruhigen und sprach deswegen nicht darüber. Oder sie hat die Situation einfach unterschätzt. Später erzählte sie mir mal, dass sie nie geglaubt hätte, dass Corona derart schnell vor der eigenen Haustür ankommen würde. Zwei Tage nach dem Ende Songkrans teilte sie mir morgens auf einmal mit, dass ein Arzt von Haus zu Haus fahren würde, um die Leute zu testen, die auf dem Fest waren.
Ein blödes Gefühl. Wenn sich einer von uns beiden angesteckt hatte, wäre der andere höchstwahrscheinlich mittlerweile ebenso infiziert. So hoffte ich wenigstens, dass wir eine etwaige Quarantäne zusammen verbringen dürften.
Von da an ging alles sehr schnell und wir hatten keinen Einfluss mehr auf die Ereignisse.
Das provisorisches Aufnahmelager im Tempel
Das Smartphone klingelte. Jeabs Gesicht wurde zunehmend ernster.
„Der Arzt kommt nicht ins Haus. Wir sollen sofort zum Tempel kommen.“
Mehr erfuhr ich nicht. Die kleine Tempelanlage ist nicht weit entfernt. Wir sind schon oft dran vorbeigefahren und ich wollte sowieso mal hierhin. Das hatte ich mir allerdings anders vorgestellt. Menschen in Seuchenschutzanzügen teilten den Tempel mit Absperrbändern gerade in Bereiche eingeteilt.
Wieder diese Schutzanzüge. Sie müssen mir aus Bangkok gefolgt sein.
Auf weit auseinander stehendenden roten Plastikstühlen nahmen wir Platz und warteten. Warteten auf das, was als nächstes passieren würde.
Nach und nach trafen immer mehr bekannte Gesichter ein. Manche lächelten mir zu, anderen richteten den Blick zu Boden. Doch sah ich allen die Sorgen an. Meine Schwiegermutter wurde an einen Tisch zitiert und musste dem Gesundheitspersonal erklären, wann und wo sie Kontakt mit dem Infizierten hatte. Kurz darauf wurde auch ich an so einen Tisch beordert.
Die Dame sprach ausreichend gut Englisch, um mir ihre Fragen zu stellen und meine Antworten zu verstehen. Allerdings mischte sich Jeab sofort vom Nebentisch aus in das Gespräch ein. Was sie der Frau erzählte, wusste ich nicht. Jedoch wurde ich anschließend in einen anderen Bereich gebracht.
Die Sorgen eines Farangs
Oft hab ich im Internet gelesen, dass die thailändische Regierung Corona als eine westliche Seuche darstellt und die Bevölkerung deswegen reserviert oder gar feindselig uns gegenüber wäre. Nun bekam ich Angst, dass das auch hier der Fall sein könnte.
Würden die Leute mich als denjenigen sehen, der das Virus hierher brachte? Was würde das für die Familie bedeuten? Das Gefühl, den Menschen, die man liebt großen Schaden zugefügt zu haben, nagte an mir.
Der Gedanke war ein Alptraum.
Vor wenigen Tagen hatte ich auch gelesen, dass überall im Land Feldlazarette errichtet wurden, um mit den vielen Infizierten und Risikokontakten fertigzuwerden. Würde man mich jetzt auch in so ein Lazarett bringen?
Die Gesundheitsbehörden waren ausnahmslos sehr zuvorkommend mir gegenüber. Das möchte ich wirklich betonen. Einige versuchten mir die Sorgen zu nehmen – wobei ich mich mehr um meine Schwiegermutter sorgte, als um eine etwaige Infektion. Manche Mitarbeiter gaben mir gar ihre Telefonnummern, falls ich Probleme hätte. Ich hatte überhaupt nicht das Gefühl, dass man in mir einen Sündenbock sah.
Auch meine Schwiegermutter war mit ihrem Aussagen fertig und wartete nun in einem anderen Bereich. Wir konnten uns jetzt nur noch über Textnachrichten austauschen. Ihre kurze Nachricht brachte dann Gewissheit:
„Wir werden jetzt getrennt. Ich [d. h. Jeab] wurde als Person mit hohem Risiko eingestuft, du mit niedrigem Risiko.“
Keine Rückkehr ins Haus
Die Behörden gingen davon aus, dass ich so gut wie keinen Kontakt mit der infizierten Person hatte. Doch den hatte ich sehr wohl. Sogar meine Kamera hatte ich der Person für eine Zeit lang in die Hand gedrückt.
Ich glaube, dass Jeab mich damit schützen wollte. Sie ist eine total liebe Seele und das letzte, was sie wollte war, dass ich in eine unangenehme Situation gerate. Allerdings führten ihre Aussagen dazu, dass wir getrennt wurden, damit ich keinem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt werden würde. Unnötig zu erwähnen, dass nach zwei Tagen, die wir bereits unter einem Dach verbracht hatten, diese Maßnahme kaum mehr sinnvoll war.
Eine Chance, in das Geschehen einzugreifen, hatte ich jedoch eh nicht.
Ich sah zu ihr rüber, sah in das sorgenvolle, zu Boden blickende Gesicht. Das war der Moment, wo es mir zu viel wurde. Tränen konnte ich mir verkneifen, gleich auch mir sehr wohl danach zumute war.
Eine weitere Nachricht sagte mir, dass ich in eine kleine Bungalow-Pension im Ort gebracht werde, die ich bereits kennen würde. Dort könnte ich die Quarantäne verbringen. Die Familie würde sich um mich kümmern und mich täglich mit allem versorgen, was ich bräuchte.
Das verschaffte mir Erleichterung – kein Lazarett.
„Was passiert mit dir?“, fragte ich. Jeab musste sich im Haus isolieren und mehrere PCR-Tests machen. Von der Familie darf sie keinen sehen. Ihre Töchter nicht, ihre Eltern nicht, niemanden.
Quarantäne in Nong Chaeng
Einer der Ordnungskräfte führte mich zu seinem Pickup. Als Vielleicht-Infizierter durfte ich nicht in der Fahrerkabine mitfahren. Also wurde ich im typischen Thai-Style auf die Ladefläche des Wagens verfrachtet. Das kannte ich schon. Wir hielten noch kurz am Haus der Familie an, damit ich meine Sachen holen konnte. Die Großeltern kamen mit erwartungsvollem Blick auf mich zu, doch deutete ich ihnen mit einer Geste, Abstand zu halten. Sie wussten ja noch nicht, was passiert war.
Schlussendlich kamen wir am Ort meiner zweiten Zwangsisolation an. Der letzte Bungalow fernab der Straße war meiner.
Mit einer Unterbrechung von wenigen Tagen bedeutete das, dass ich einen Monat lang in thailändischer Quarantäne verbrachte. Und da gab es tatsächlich Leute, denen schon ein einziger Quarantäne-Tag zu viel war.
Nicht allein in meiner Hütte
Die Unterkunft kannte ich in der Tat von früheren Reisen. Eigentlich war ich immer gern hier, dieses Mal war es jedoch anders.
Die Regensaison hatte bereits eingesetzt. Fast täglich gab es monsunartige Regenschauer bis hin zu Gewitterstürmen, wie ich sie in Europa noch nie erlebt hatte. Dieses Klima führte zu einer starken Ansammlung verschiedenster Insekten. Und diese fühlten sich alle sehr wohl mit mir in meinem Zimmer.
In Bezug auf Insekten bin ich wirklich nicht zimperlich. Meine Freunde wissen, dass ich mich sogar für Käfer, Spinnen und alle möglichen Arten von Krabbelgetier interessiere. Aber dort war es zu viel des Guten.
Ein Beispiel. In Südostasien habe ich mir angewöhnt, unter der Bettdecke nachzusehen, wenn es irgendwo krabbelt. In 90 Prozent der Fälle, liegt man dann nicht allein im Bett. Hier war das egal. Es brauchte nur ein paar Minuten und es krabbelte überall. Bevor ich abends das Licht zum Schlafen ausmachte, sammelte ich Unmengen von Insekten vom Kopfkissen.
Meine Wohlfühlgrenze wurde hier weit überschritten. Zumal die Hütte aufgrund meiner Quarantäne nicht gereinigt wurde.
Hinzu kam der bis Dato schlimmste Sturm, den ich erlebt hatte. Am Abend meiner Ankunft, zog ein Unwetter über Nong Chaeng hinweg, das ich in dieser Heftigkeit noch nicht kannte.
Die Sorge, es würde die Hütte auseinandernehmen, war vielleicht nicht gerechtfertigt. Thais haben ja viel Erfahrung mit solchen Wetterextremen. Aber wenn ich alle Stecker ziehe, das Licht lösche und mich in die Mitte des Raumes zusammenkauere, um das Ende des Unwetters abzuwarten, will das was heißen.
Die Familie – Glück im Unglück
Jedoch wäre es unfair, nur negative Dinge dieser Quarantäne aufzuzählen. Denn da gab es auch schöne Augenblicke, die ich allesamt der Familie zu verdanken habe.
Jeab kündigte ja bereits an, dass die Familie sich um mich kümmern würde. Und das taten sie auch. Mindestens einmal täglich – oft mehrmals – bekam ich Besuch am Bungalow. Im Gepäck: eine große Ladung an Hygieneartikeln, frisch gewaschener Kleidung, Nahrungsmitteln und sogar Bier. Natürlich viel mehr als ich allein essen oder trinken konnte.
Fast stündlich erreichten mich Nachrichten von Familienangehörigen, die ich gar nicht kannte oder mit denen ich zumindest noch nie gesprochen hatte. Jeder wollte wissen, ob und was sie für mich tun könnten, was sie mir bringen könnten oder ob sie Wege für mich erledigen sollen.
Das muss man den Thais wirklich lassen. Sie lassen einen nicht im Stich. Das hatte aber auch eine Schattenseite.
Die Schuldfrage
Meine eh schon von Gewissensbissen geplagte Schwiegermutter musste sich einige Vorwürfe anhören. Wie könne sie nur so verantwortungslos sein, mit mir während einer Pandemie auf eine Songkranfeier zu gehen?
Den Gedanken fand ich unerträglich.
Unter Tränen haderte sie mit den allergrößten Schuldgefühlen und betonte immer wieder, dass sie so etwas keinesfalls erwartet oder gar gewollt hätte. Und dann werfen ihr die Leute vor, sie hätte unverantwortlich gehandelt.
ABER: Ich bin ein erwachsener und eigenverantwortlicher Mensch. Ich wollte auf diese Feier. So eine Chance würde ich mir auch zukünftig nicht entgehen lassen. Pandemie hin oder her. Außer mich selbst traf niemand eine Schuld. Meiner Schwiegermutter war ich dankbar für die Möglichkeit, die sie mir eröffnet hatte.
Und genau das ist es, was ich ihr am Telefon auch immer wieder gesagt habe. Was ich jedem gesagt habe, der meine Meinung wissen wollte. Wenn jemand schuld an meiner Situation war, dann nur ich selbst.
Schluss! Aus! Micky Maus!
Eine ätzende Rettung
Die bereits erwähnten Krabbeltiere waren es wohl irgendwann leid, ständig von mir aus dem Haus geworfen zu werden und so überlegten sie sich einen perfiden Plan, mich loszuwerden.
Wann es passierte, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Ob im Schlaf oder vielleicht beim Abtrocken mit einem Handtuch. Jedenfalls hatte mich irgendeine ätzende Flüssigkeit ziemlich böse erwischt.
Nach ein paar Tagen in der Hütte wachte ich morgens mit einem schmerzenden Gesicht auf. Ein Blick in den Spiegel ließ nichts Gutes erahnen. Mein rechtes Auge war geschwollen und brannte wie Hulle. Die gesamte rechte Wange war von einem breiten roten Streifen überzogen.
Prima. Als wäre das alles nicht schon genug, kommt jetzt auch noch eine Verätzung dazu. Die statistische Wahrscheinlichkeit dafür lasse ich jetzt aber außen vor.
Der Zustand meines Gesichts verschlechterte sich stündlich. Irgendwann bekam ich Angst rief Jeab an. Daraufhin telefonierte diese sofort mit einem Arzt.
Später würde der mir erklären, dass es der Urin eines Insekts war, der zusammen mit den Substanzen auf der menschlichen Haut reagierte und diese Art von Verletzungen hervorrief.
Es sollte mehr als einen Monat dauern, bis mein Gesicht wieder verheilt war.
Happy End
Im Nachhinein musste ich dem Insekt wohl aber noch dankbar sein.
Ich weiß nicht, wie Jeab es angestellt hat, aber der Arzt gab ihr aufgrund meiner Verätzung und ihres negativen ersten PCR-Tests die Erlaubnis, den Rest der Quarantäne mit ihr zusammen im Haus zu verbringen. Vielleicht kannst du dir vorstellen, dass meine Rückkehr schon fast ein emotionales Ereignis war.
Glück im Unglück. Alle dunklen Wolken verzogen sich und für einen Augenblick war ich der glücklichste Farang in ganz Thailand. Vielen Dank, ätzendes Insekt. Du siehst, dass wir nie wissen können, warum uns bestimmte Dinge passieren.
Was ich aus dieser Sache gelernt habe
Und nun? War diese Erfahrung ein Weckruf, künftig vorsichtiger zu sein?
Nein! Fehlanzeige.
Dem ist überhaupt nicht so. Trotz oder gerade wegen dieser Erlebnisse würde ich alles wieder genauso machen – mit allen Konsequenzen. „Gerade wegen“ weil mich diese Zeit eine wichtige Lektion gelehrt hat. Solche Dinge bringen mich nicht um.
Eine Reise auf der nur vorhersehbare Dinge passieren ist langweilig, oder?
Es ist doch dieses Unvorhersehbare, das den Reiz des Reisens ausmacht. Es war ja nicht alles schlecht. Glückliche Momente gab es immer wieder, auch während der zweiten Quarantäne. Hinzu kommen die Hilfe und Fürsorge der Thais. Und um nichts in der Welt möchte ich die Erfahrungen der vorausgegangenen Songkranfeier missen.
All das überwiegt die negativen Konsequenzen bei weitem.
Mir ist klar, dass es nicht für jeden Menschen möglich ist, vier Wochen des Jahresurlaubes in Quarantäne zu verbringen. Wer will das auch schon? Ich denke beispielsweise an Familien mit Kindern und an Menschen, die sich jeden Tag Urlaub hart erarbeiten. Das kann ich vollkommen verstehen.
Aber: Ich denke auch, dass das etwas mit der Sichtweise zu tun hat.
Die Vorstellung täglich in der Sonne bratend am Strand zu liegen, alle zwei Stunden ins Wasser zu flitzen und ansonsten für die Dauer des Urlaubes kaum aus dem austauschbaren, steinernen Luxushotelwürfel herauszukommen, bei dem ich abgesehen von dem Auftreten und dem Dialekt des Personals kaum mehr erkennen könnte, in welchem Land ich mich gerade befinde . . . nein, diese Vorstellung geht gar nicht.
Das ist das komplette Gegenteil meiner Definition des Reisens.
Lieber erzähle ich später die Geschichte, wie ich während einer Pandemie, mit Hunderten Insekten in einer kleinen wackeligen Holzhütte ausharren musste und nicht wusste, wie es weitergeht.
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