Kulturschock in Bangkok
Wenn ich mich selbst als „naiv“, „leichtsinnig“ oder gar „bekloppt“ bezeichne, kann mich damit keiner mehr beleidigen. Manchmal tue ich sehr naive oder bekloppte Dinge. Niemand würde sich in den ersten Tagen seines Urlaubes einen mehr als 30 Kilometer langen March durch die unerträgliche Hitze einer riesigen Betonwüste antun.
Niemand. Ich schon . . .
Das erste Mal Südostasien, das erste Mal Thailand, das erste Mal Bangkok.
Nur wenige Stunden nach der Landung hatte ich bereits das, was gemeinhin als Kulturschock bezeichnet wird. Ein Gefühl der Angst, des Unwohlseins und ständig die Frage im Kopf: „Was zur Hölle machst du hier eigentlich?“
Bangkok - Beginn einer Hassliebe
Zwischen Rotlichtbezirken und buddhistischen Tempeln, brennenden Müllkippen und Palästen, Partystraßen und Museen, habe ich mich verletzt, wurde beschimpft, beleidigt, wäre fast überfahren worden und habe mich in den Gassen der riesigen Metropole hoffnungslos verlaufen. Man kann es nicht anders sagen. Meine erste Berührung mit Bangkok war nicht optimal.
Ich werde nicht alles wiedergeben, was ich dort erlebt habe, aber hier bekommst du eine Beschreibung dessen, wie meine ersten Tage in Bangkok so aussahen. Ein drastischer Kontrast zu all den „Die x schönsten Sehenswürdigkeiten“ Sonnenscheinartikeln, die du im Internet so finden kannst.
Tag 1 - Der Großen Palast
Der Morgen nach der Landung. Drei Tage sollte mein erster Aufenthalt in Bangkok dauern. Die Uhr zeigte ungefähr 08:00 Uhr. Noch haderte ich mit mir. Ich hatte keine lokale SIM-Karte und somit auch kein Internet. Zudem litt ich unter dem Gefühl hier völlig fehl am Platz zu sein.
Am Vortag hat es bereits der erste Taxifahrer am Flughafen geschafft, mich abzuzocken. Den englischen Akzent der Thais verstand ich kaum. Außerdem hatte mein Koffer die Anreise nicht überstanden (der Verschluss funktionierte nicht mehr). Mit „Unwohlsein“ würde ich meine damalige Gefühlslage sicher noch weit untertreiben.
Sollte ich wirklich losgehen? Was war jedoch die Alternative? Drei Tage im Hotel ausharren? So viel hatte ich mir vorgenommen. Im Gepäck eine meiner unter Freunden berühmten „Urlaubspläne“. To-Do-Listen, welche nur mit strenger Disziplin und viel Durchhaltevermögen zu schaffen waren.
Also Zähne zusammengebissen, Rucksack aufgeschwungen und raus ins Getümmel der Großstadt.
Kein guter Start
Die ersten 100 Meter weg vom Hotel waren geschafft. Es war auch gar nicht schlimm, die wartenden Taxifahrer abzuwiegeln.
Nein! Taxifahren tue ich nur, wenn es absolut notwendig ist. Der Vortag hat mir gereicht. Die Fahrer verstehen einen nicht, kennen die Stadt nicht, schalten das Taximeter nicht an und Wechselgeld haben sie sowieso nicht. Zumindest fühlte es sich so an.
Mein erstes Ziel war eine Haltestelle für Khlong-Boote. Khlongs sind kleine Kanäle, wegen denen Bangkok auch das Venedig des Ostens genannt wird. So eine Bootsfahrt müsse man unbedingt machen, hatte ich gelesen.
Auf einem dünnen Fußweg überquerte ich eine Straßenbrücke. Auf ihr saß ein Thai mit Dreadlocks und versperrte den Weg. Natürlich sprach er mich an. Allerdings verstand ich ihn nicht. So erwiderte ich nur ein freundliches „Hey“ und ging weiter. Nachdem ich ihn mit einer Ausweichbewegung auf der Straße passiert hatte, ignorierte ich seine ununterbrochenen Rufe. Was er von mir wollte, würde ich nie erfahren.
Am Bootsanleger
Es dauerte ein bisschen, bis ich die kleine Gasse von der Straße runter zum Khlong fand. Die Asoke-Haltestelle befand sich fast 10 Kilometer von meinem eigentlichen Ziel, dem Großen Palast, entfernt. Fahrkarten konnte man hier nirgends kaufen. Außerdem waren die wenigen Schilder nur auf Thai beschriftet. „Das fängt ja gut an“, dachte ich.
Nach ein paar Minuten kam eines der Boote angerast. Mit etwas Abstand beobachtete ich, wie es anhielt, ein Bootsmann zwei wartende Thais ins Boot hievte und sofort weiterfuhr. Die Prozedur dauerte nur wenige Sekunden.
Nein! Das würde ich nicht machen.
Zu viel Angst hatte ich, ohne Fahrkarte und Sprachkenntnisse auf das Boot zu steigen. Voll mit Thais, die allesamt den komischen und durchgeschwitzten Farang beobachten würden. Taxis kamen jedoch auch nicht in Frage.
Noch stand die Sonne nicht so hoch. Wenn ich nicht rumtrödeln würde, könnte ich die 10 Kilometer zum Palast gut schaffen.
So die Theorie.
Entlang der Phetchaburi Road
Meine Offline-Karte zeigte mir, dass ich eigentlich fast durchgehend der großen Hauptstraße folgen könne. Das sollte nicht so schwer sein. Während die beeindruckenden Türme der Skyline langsam näher kamen, kreuzte ich einen wunderschönen kleinen Markt im chinesischen Stil. In Gedanken hatte ich so etwas wie: „Die Stadt hat also auch ihre schönen Seiten.“
Später fand ich mich auf einen sehr verwaisten Abschnitt der großen Straße wieder. Hier waren keine Fußgänger und nur wenige Autos unterwegs. Ein älterer Herr sprach mich an. Er muss mir angesehen haben, dass ich neu hier war und begrüßte mich so gleich mit den Worten: „Welcome to Thailand“. Was ich anfangs noch für Freundlichkeit hielt, sollte zu eine der unangenehmsten Erfahrungen werden, die ich in Bangkok je machen würde.
Chinesisches Neujahr oder auch „Buddha Day“
Obwohl ich nicht stehenblieb, versuchte der Herr mich sehr energisch in ein Gespräch zu verwickeln. Er sei Lehrer für Geschichte in der Schule auf der anderen Straßenseite. Seit wann sei ich in Thailand? Wie lange würde ich bleiben? In welchem Hotel wohnte ich? Seine zweifelhafte Gestik bemerkend (er gab wartenden Tuk-Tuk-Fahrern Zeichen) antwortete ich auf all seine Fragen mit falschen Angaben.
Nur auf eine nicht: „Where are you going?“ Nach dem ich den großen Palast erwähnte, erklärte der Herr mir, dass dieser wegen dem momentan stattfindenden chinesischen Neujahr geschlossen sei. Das ließ mich augenblicklich eine Masche erkennen, von der ich im Internet gelesen hatte – dem Buddha Day Scam. Würde ich einwilligen, mich von ihm zu einem anderen Tempel oder dergleichen bringen zu lassen, würde ich auf eine Abzocktour quer durch Bangkok mitgenommen werden.
Nicht das Gesicht verlieren
Als ich nun also erwiderte, dass der Palast sicher geöffnet sei, ging eine laute und sehr aggressive Schimpftirade auf mich nieder. „Fuck off!“, „You are stupid“, „Go away!“. Das war beängstigend. Wortlos suchte ich das Weite. War das nun die berühmte Freundlichkeit der Thais? Innerlich war ich wütend. „Der Typ war doch nur sauer, weil ich nicht auf seinen billigen Trick reingefallen bin.“
Und auch wenn das stimmt, würde ich heutzutage anders reagieren. Als ich ihn indirekt der Lüge bezichtigte, hat er vor mir sein Gesicht verloren. So etwas kann in Thailand ungeahnte Folgen haben. Auf seine Beschimpfungen nicht zu reagieren, war sicher die beste Reaktion. Leicht hätte die Situation sonst auch schlimmer eskalieren können.
Bangkoks Straßenverhältnisse
Mittlerweile hatte ich fast die Rattanakosin-Insel erreicht, das Zentrum Bangkoks mit unzähligen, berühmten Hauptsehenswürdigkeiten. Einige Straßen hier haben keine Fußwege, also drückte ich mich an der Wand auf einer Fahrspur entlang und hoffte, dass mich keines der Fahrzeuge erwischen würde.
Der Verkehr in der Hauptstadt ist ganz allgemein nicht ungefährlich für Fußgänger. Einige größere Kreuzungen bieten Überführungen, die zwar anstrengend zu überqueren, aber wenigstens sicher sind. Denn die Ampelfarben an den Straßen sind bestenfalls Indikatoren für einen guten Zeitpunkt zum Losgehen. Ganze Trauben von Rollern fahren manchmal bei Rot los. Fußgängerüberwege würde ich hier sogar nur als Dekoration verstehen.
Gefahren lauern auch dort, wo man es als Europäer im ersten Moment gar nicht erwarten würde. So ändern einige Straßen nämlich nach einer gewissen Strecke einfach die Fahrtrichtung. Gucke also stets in beide Richtungen!
Während ich an einer viel befahrenen Straße auf die Möglichkeit wartete, auf die andere Seite zu gelangen, rief mir ein vorbeifahrender Thai die Worte „just go“ zu. Ob er mir helfen oder mich umbringen wollte, wusste ich nicht.
Schließlich erreichte ich einen Tempel. Der Große Palast war es aber nicht. Ich war am Fuße des Golden Mountain angelangt.
Der erste Tempel
Mein allererster Tempel in Thailand sollte also der Tempel des Goldenen Berges sein, was mir nicht sofort klar war. Die Karten-App bezeichnete den unteren Abschnitt als „Wednesday Buddha“. Der eigentliche Tempel (Wat Saket) war laut der App gleichzusetzen mit dem Chedi auf dem Golden Mountain. Hier unten war es eine ruhige Anlage. Kein Tourist weit und breit. Diese Ruhe und eine Pause waren genau die Dinge, die ich jetzt nötig hatte.
Anschließend zog es jedoch auch mich auf den angrenzenden Golden Mountain, wo ich in dem kleinen Café auf halber Treppe das erste Mal Erfahrung mit den thailändischen Moskitos machen durfte. Sie sahen viel kleiner aus als die in Deutschland, hatten allerdings die berüchtigten Tigerstreifen am Körper.
Lange hielt es mich nicht auf dem völlig überfüllten „Stadtberg“, auch wenn man hier einen tollen Blick über die glühenden Dächer Bangkoks hatte.
Grande Palace - Der große Palast
Es waren nur noch 2,5 Kilometer bis zum Palast. Das mag nach nicht viel klingen, jedoch sind diese unendlich lang, wenn man sie ohne Schatten in der unerbittlichen Mittagssonne Thailands zurücklegen muss. Unterwegs wurde ich erneut angesprochen. Ein Thai gab mir den Hinweis, dass der Palast heute geschlossen sei. Ich quittierte das nur mit den Worten, dass ich das bereits wüsste und ignorierte ihn.
Zu dieser Zeit befand sich der Eingang zum Palastgelände im Nordwesten, so dass man sich erst mal in den Zug der Touristenmassen einreihen musste, um die Palastmauern zu umrunden. Manch chinesische Besucher hatten einen Schirm aufgespannt, um sich vor der Sonne zu schützen. Das fand ich gar nicht so dumm.
Nach dem Ticketkauf und der Kontrolle meines Rucksacks am Eingang, durfte ich endlich auf das riesige Gelände. Vor den Gaunern außerhalb war man hier drin sicher und Schatten gab es auch genug. So nutzte ich die nächsten Stunden, um mich von den Strapazen des Tages zu erholen.
Der lange Weg zurück
Die Details, wo und wie oft ich mich auf dem Rückweg über den Lumphini-Park verlaufen habe, erspare ich dir jetzt mal. Fuß- und Rückenschmerzen zwangen mich zu immer häufigeren Pausen am Straßenrand. Stunden irrte ich umher und am Ende des Tages hatte ich weit mehr als 30 Kilometer in der Hitze Bangkoks zurückgelegt.
Zurück im Hotel konnte ich nach einer Dusche erst mal meine völlig kaputten Füße versorgen, bevor ich ein paar Stunden schlief. Noch am selben Abend hatte ich dann eine thailändische SIM-Karte. Ohne die geht es wirklich kaum. Denn die Nutzung einer Offline-Karte scheitert an den Straßennamen in thailändischer Schrift. Und fragen kannst du auch kaum jemanden.
Das Gefühl angekommen zu sein
Nun klingt dieser erste Tag in Bangkok vielleicht ein bisschen wie eine Katastrophe, doch das war er ganz und gar nicht.
Auf meine Leistung war und bin ich noch heute stolz. Egal was da kam, ich habe es einfach durchgezogen.
Im Nachhinein gab mir vor allem der Zwischenfall mit dem „Geschichtslehrer“ das Gefühl, dass ich auch emotional wirklich in Thailand angekommen war.
Nebenbei bemerkt, es war auch genau an diesem Tag, an dem ich meiner zukünftigen Partnerin und Ehefrau das erste Mal begegnen sollte.
Wenn du wissen möchtest, warum mich ein Wachmann angeschrien hat und wie ich versehentlich auf einer „brennenden“ Müllkippe gelandet bin, dann gucke dir gern auch den zweiten Teil der Geschichte an.
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