„Der Reisende sieht Dinge, die ihm unterwegs begegnen, der Tourist sieht das, was er sich vorgenommen hat zu sehen.“
— G.K. Chesterton
Kulturschock in Bangkok (Teil 2)
Ein bisschen mulmig war mir schon. Kaum war der erste ereignisreiche Tag in Thailands Hauptstadt vorbei, stand ich am nächsten Morgen wieder vor der Entscheidung, mit meinem Rucksack loszuziehen. Noch wusste ich nicht, dass ich auch heute wieder angebrüllt werden würde.
Das Unwohlsein des Vortages ist allerdings ein wenig der Souveränität gewichen. Außerdem hatte ich jetzt Internet, und konnte jederzeit sehen, wo in der Metropole ich mich gerade befand.
Also zögerte ich dieses Mal nicht so lange und verlies trotz schmerzender Füße mein Hotelzimmer.
Tag 2 - Vom Tempel auf die Müllhalde
Meine ersten Stationen würden die berühmten Tempel Wat Arun und Wat Pho sein. Das bedeutete auch, dass ich wieder den Großen Palast zum Ziel hatte. Hundert Meter vom Hotel entfernt, rief ich mir dieses Mal allerdings ein Taxi heran.
Merke: Niemals einen der wartenden Taxifahrer vor einem Hotel anheuern. Das Taxameter stellen sie nicht an und du kannst dir sicher sein, bei einem verhandelten Preis so gut wie immer zu viel zu zahlen.
Taxifahrer ohne Englisch - oder gar Thaikenntnisse
Mein Taxifahrer war von freundlicher Natur und das Taxameter wurde auch sofort eingeschaltet. Allerdings verstand er kein Wort Englisch und so traf mein „Grande Palace“ nur auf fragende Blicke. Und hier kam eine merkwürdige Eigenschaft vieler thailändischer Taxifahrer zum Vorschein. Egal, wie oft ich ihn den Palast auf Google Maps zeigte, wo sogar die thailändische Bezeichnung (in Thai-Schrift) vorhanden war, wollte er es nicht verstehen. Außer Deutsch hatte ich jedoch keine weitere Sprache mehr im Repertoire.
Meine Erinnerung sagt mir, dass es der „Wat Pho“ war, der ihn doch noch auf die richtige Spur brachte. Jedenfalls hat er mich sicher und zügig zum Palast gebracht, von wo ich meinen Weg über den Chao Praya-Fluss zum Tempel der Morgenröte fortsetzen konnte.
Bangkok - aufregend oder nervtötend?
Beide folgenden Tempelbesuche verliefen ohne Probleme und ich fühlte mich schon stolz wie Oskar. Der Vortag war sicher unter der Kategorie „Startschwierigkeiten“ zu verorten. Und überhaupt ist Bangkok ja eigentlich eine ganz hübsche und interessante Stadt.
Der erste Punkt würde mich später noch der Lüge strafen, aber mein Bild über Bangkok begann sich tatsächlich bereits an diesem Tag etwas zu wandeln.
Eine Erfahrung, die ich in diesen Tagen gemacht habe und die auf jeder weiteren Reise bisher eine Rolle gespielt hat, ist folgende.
Sei kein Neuling!
Bleib nicht ewig stehen, um die Karte zu studieren. Gucke nicht verwirrt in der Gegend rum oder trag am besten eine Sonnenbrille. Wenn du naiv, ortsfremd und unsicher wirkst, ziehst du auch die Aufmerksamkeit von Leuten auf dich, deren Aufmerksamkeit du sicher nicht haben möchtest.
Eine stinkende Stadt
An den ersten Tagen in Bangkok habe ich kaum was gegessen. Nicht, weil es mir nicht geschmeckt hätte. Nicht umsonst ist die thailändische Küche weltberühmt. Nein. Ich hatte in der Hitze einfach keinen Hunger. Ganz im Gegenteil. Während mir die Sonne den Bregen ansengte, waren allein die ganzen Düfte aus den Garküchen ein absoluter Appetitkiller.
Der Geruch der Stadt ist sowieso ein Thema für sich.
Nach unzähligen Reisen in die Hauptstadt Thailands kann ich sehr wohl sagen, dass sie einen ganz eigenen Geruch hat. Du kannst ihn bereits am Flughafen wahrnehmen. Aber versteh mich nicht falsch. Was andere vielleicht als Gestank bezeichnen würden, macht mich heutzutage jedes Mal glücklich, sobald ich es wahrnehme. Mein Gehirn assoziiert das mit einem „Angekommen“-Gefühl.
Ja, ich freue mich regelrecht schon vor der Ankunft auf meine stinkende Stadt.
Eine Straftat?
Doch zurück zum zweiten Tag. Der Wat Intharawihan sollte das nächste Ziel sein. Bei Touristen kaum bekannt, beeindruckt der Tempel wohl durch eine riesige stehende Buddha-Statue.
Leider konnte man diese nicht durch Häuserreihen sehen, so dass ich mehrmals an der kleinen Zugangsstraße vorbeigelaufen bin. Nach einem unnötigen Umweg um den ganzen „Block“, konnte ich dann endlich richtig abbiegen.
Von mir selbst etwas genervt und gedanklich ganz woanders, ging ich schnurstracks geradeaus auf den Tempel zu. Ein Thai sprach mich von der Seite an. „Immer noch Buddha Day?“, dachte ich mir und ging weiter, ohne auf ihn zu reagieren.
Seine Rufe hinter mir wurden immer lauter und energischer, bis ich schlussendlich ein wütend gebrülltes „Noooo!“ hörte, gefolgt vom Pfiff einer Trillerpfeife.
Als ich mich umdrehte, blickte ich einem sichtlich zornigen Wachmann ins Gesicht.
Der Zorn eines Wachmanns
Jetzt erst begriff ich, was die Stimme von mir wollte. Der Wachmann deute auf einen kleinen Ticketstand, aus dem auch die Stimme die ganze Zeit kam. Selbstverständlich entschuldigte ich mich augenblicklich und versuchte zu erklären, dass ich in den letzten zwei Tagen fast ausschließlich von Gaunern und aufdringlichen Händlern angesprochen worden bin.
Der Ticketverkäufer hat mir sicherlich geglaubt, denn so dämlich, dreist einfach durch eine Eintrittskontrolle zu marschieren, würde wohl kaum einer sein. Er akzeptierte meine Entschuldigung und gebot mir sogleich mich zu beruhigen. Offensichtlich war ich von dem Vorfall etwas eingeschüchtert. Wer will schon in einem fremden Land Probleme mit dem Gesetz bekommen?
Das Beste kommt zum Schluss
Gleich hinter dem Tempel, dessen berühmter Buddha aufgrund von Restaurationsarbeiten gar nicht zu sehen war, ging es weiter durch eine dunkle Gasse. Hier gab es keine anderen Farangs, nur ein paar Thais, die mich skeptisch ansahen, als ich mit meiner Kamera in der Hand dort entlang spazierte. Später gelangt ich zum Wat Benchamabophit, dem Marmortempel. Das war zugleich meine letzte Station an diesem Tag und ich trat mit Hilfe von Google Maps den Rückweg zum Hotel an.
Der angezeigte Weg in der App schien nicht sonderlich kompliziert.
Dass man sich nicht ausschließlich auf die Technik verlassen sollte, ist kein Geheimnis. Aber wenn man es unabhängig von der Technik nicht besser weiß, nützt einem diese Weisheit auch nichts. Als mich die App in einer trostlosen Umgebung unter eine ewiglange Unterführung schickte und um mich herum alles immer dunkler wurde, begann ich mich zu fragen, ob das hier tatsächlich der richtige Weg sei.
Am dunkelsten Ort der Stadt
Schließlich fand ich mich auf einer Art Autofriedhof wieder. Links und rechts versperrten Wracks den Weg. Überall brannten kleine Feuer, um welche sich zwielichtige Gestalten versammelt hatten, die mich nun ansahen. Und ich stand da: allein, mit Rucksack, Sonnenbrille und meiner Kamera in der Hand. Ganz offensichtlich hatte ich mich verlaufen.
Im Internet hatte ich mal gelesen, dass man zu jeder Zeit, in jedem Viertel Bangkoks, mit jeder Kamera rumlaufen kann. Diese These konnte ich jetzt endlich selbst überprüfen. Jetzt bloß keine Angst zeigen.
Also bahnte der Touri-Depp sich seinen Weg durch einen Ort, wo mich im Ernstfall sicher niemand wiedergefunden hätte.
Doch es passierte nichts.
Ja selbst am Großen Palast bin ich mehr Kriminalität begegnet als hier. Entweder hatte ich tatsächlich das Glück, hier nur friedlichen Menschen begegnet zu sein oder mein Erscheinen war schlicht so grotesk, dass selbst die zwielichtigen Gestalten es für eine Falle halten mussten.
Vom Regen in die Traufe
Nach einigen Minuten sah ich dann wieder etwas Tageslicht. Meine Freude darüber, diesen düsteren Ort schnell wieder verlassen zu können, wich einer enttäuschenden Erkenntnis. Der Ausgang war mit einem Metallzaun versperrt. Da war kein Durchkommen – und es war klar, was das heißt: Der Touri-Depp darf noch eine Runde drehen. Also Kehrtwende und den ganzen Weg über den lodernden Schrottplatz zurück.
Während mich auch dieses Mal keiner ansprach oder in irgendeiner Weise bedrohlich auf mich wirkte, stellte ich mir in Gedanken immer wieder gewisse Fragen.
Machen andere Menschen auch solche dämlichen Fehler? Wären sie auch wider besseren Bauchgefühls unter diese Unterführung gerannt? Hätten sie den Ticketverkäufer auch ignoriert? Bin ich vielleicht zu verpeilt für Südostasien?
Meine Spitzleistung an verpeilten Missgeschicken sollte ich jedoch erst zwei Jahre später auf dem Flughafen in Yangon (Myanmar) hinlegen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Tag 3 - Einen noch für unterwegs
Den vorläufig letzten Tag in Bangkok wollte ich ruhiger verbringen. Die Aufregung der beiden Vortage war vorerst genug. Immerhin würden wir am nächsten Tag nach Kambodscha abreisen. Den Warnungen des Auswärtigen Amtes von Deutschland Glauben schenkend, würde ich ja quasi schon tot sein, wenn ich nur die Grenze überschreite.
Mein Bekannter und seine Thai-Partnerin, meine spätere Schwiegermutter, einschließlich ihrer kleinen Tochter begleitete ich ins Meeresmuseum „Sea World“ von Bangkok. Das war ein entspanntes Kontrastprogramm zu meinen Bangkoker Spaziergängen. Am Abend war ich dann alleine auf den berühmten Nachtmarkt „Talad Rot Fai Ratchada“, den es in dieser Form leider nicht mehr gibt.
Einige Fotos und ein Abendessen später, entschloss ich mich, mich noch mit einem Bier in mein Hotelzimmer zu setzen und meine ersten Tage in Thailands Hauptstadt Revue passieren zu lassen. Also trat ich den Heimweg an.
Ein krachender Abschluss
Kurz vor dem Hoteleingang noch schnell ein Chang-Bier im 7-Eleven gekauft und ab aufs Zimmer. Natürlich kam es anders. Das letzte, woran ich mich erinnere, war das Gespräch eines russischen Pärchens, das mich auf der Steintreppe zum Hoteleingang ablenkte.
Es kam, was kommen musste und ich stolperte über eine der Stufen.
Rums. Das tat weh.
Laut klirrend lag ich auf der Treppe. Das war vielleicht peinlich. Natürlich ruhten sämtliche Blicke auf mir. Sofort kam das Hotelpersonal angerannt, um mir zu helfen. Die hielten mich wahrscheinlich für betrunken. Auf meine Versuche, ihnen zu deuten, dass alles okay ist, zeigten sie auf meine linke Hand, aus der eine Menge Blut lief.
Prima, das hat mir zum Abschluss noch gefehlt. Es war, als würde mir Bangkok sagen wollen, dass ich mir „den“ noch für unterwegs einpacken könne.
Die Folgen
Immerhin hatte ich Glück im Unglück. Meine Beine schmerzten tierisch, mein rechtes Handgelenk konnte ich kaum bewegen und eine Narbe an der linken Hand erinnert mich noch heute an diesen Abend. Doch war nichts gebrochen oder ernsthaft kaputt. So konnte ich also weiterreisen. Gottseidank hatte ich Pflaster und sogar Mullbinden in meiner Reiseapotheke. Wenigstens in dieser Hinsicht, war ich gut vorbereitet.
Bangkok - Die Stadt der Engel
Mit diesen beiden Berichten über die ersten Tage in Bangkok erläutere ich das erste Mal, was mir damals alles so passiert ist und wie ich die Stadt bei meinem ersten Besuch erlebt habe.
Nicht mal meine Freunde oder meine Familie kannten diese Details bisher. Jedoch weiß jeder von ihnen, wie sehr ich Bangkok liebe.
Zugegeben, es war ein schlechter Start …
Doch schon weniger Monate später, konnte ich mich wesentlich souveräner durch die Straßen und Gassen Bangkoks bewegen, einer Metropole, die ich heute mehr liebe als alle anderen mir bekannten Großstädte zusammen.
Bangkok ist eine Stadt mit Charakter, in der es nie langweilig wird. In der du das hässliche Antlitz einer großen Betonwüste oder eine bunte Schatzkammer voll Abenteuer und Möglichkeiten sehen kannst. Die Entscheidung liegt bei dir.
Ich hab meine getroffen.
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